Neurobiologie vs. Philosophie: Warum Sie nicht Ihr Gehirn sind

Je populärer eine Theorie wird, desto mehr versucht man, mit ihrer Hilfe zu erklären. Dies gilt auch für Neurowissenschaften, die sich im letzten Jahrzehnt enorm entwickelt haben. Doch viele verfallen zu gern in Extreme, indem Sie die Funktionsweise des Gehirns als Lösung für das Verstehen von Gedanken und Verhalten ansehen.

So gibt es sogenannte Experten, die Anhand von Brain-Scan-Bildern von Menschen ihr Verhalten prognostizieren zu können behaupten – z.B. ob jemand lügt oder welche Kauf- oder Wahlentscheidung diese Person treffen wird.

Andere gehen so weit zu sagen, dass Menschen letztlich nichts anderes als eine Ansammlung von Neuronen sind – wenn wir also das menschliche Gehirn, die physischen Prozesse, die wiederum die mentalen Prozesse determinieren, vollständiger verstehen werden, werden wir auch ihr Verhalten vollständig verstehen. Wir werden sehen, dass viele Verhaltensweisen wie z.B. Suchtverhalten, nichts anderes als Gehirnerkrankungen sind. Und dass Menschen über keinen freien Willen verfügen und ihre Handlungen durch Physische Prozesse determiniert, also festgelegt sind. Letztendlich werden die Neurowissenschaften die Psychologie als Mittel zum Verstehen des Verhaltens ablösen.

Doch all diese Ansichten Machen den gleichen Fehler: sie setzen das Gehirn mit dem Verstand, der Psyche gleich. Doch dies ist schlicht falsch. Man kann unmöglich anhand einer Karte der Gehirnaktivität Emotionen, Reaktionen und Wünsche vorhersagen, ja überhaupt verstehen. Zum einen übernehmen ein- und dieselben Gehirnbereiche sehr viele unterschiedliche Funktionen. So kann zum Beispiel ein- und dasselbe Gehirnareal bei Furcht, Heiterkeit, Wut und sexueller Erregung aktiv sein. Ein anderes ist in die Verarbeitung von Vertrauen, Erkenntnis, Empathie, Ekel und Zweifel involviert. Wie sollen bei solchen Mischungen spezifische Urteile möglich sein?

Zum anderen verteilt sich „eine Aktivität“ in der Regel über viele verschiedene Regionen im Gehirn. Das sogenannte Arbeitsgedächtnis zum Beispiel Bezieht sich auf eine Aktivität in mindestens 30 Regionen in Gehirn.  Außerdem scheint es keine spezifischen Aktivitätsmuster im Gehirn zu geben, anhand derer sich zum Beispiel Emotionen identifizieren lassen.

Außerdem kann eine Handlung aus vielen unterschiedlichen Gehirnzuständen resultieren und ein und dasselbe Ereignis kann viele unterschiedliche Reaktionen in Gehirn auslösen. Außerdem lässt die biologische Ebene stets die Bedeutung für einen Menschen außer Betracht. (Ein und derselbe Mensch kann bei unterschiedlichen Personen sehr unterschiedliche Emotionen auslösen, je nachdem, ob es sich dabei um den geliebten Partner oder eine gehasste Person handelt.) Und nicht zuletzt können Menschen ihr Gehirn in unvorhersehbarer Weise verändern, indem sie zum Beispiel ihre Aufmerksamkeitsmuster verändern.

Wenn man also alle Ebenen des Verhaltens mit nur einer Disziplin zu erklären versucht, muss man bereit sein, diverse Probleme erklären zu können. Doch selbstverständlich ist es wesentlich leichter, diese einfach zu leugnen und dies ist genau das, was die Deterministen, zu denen viele Neurobiologen zählen, tun. Die Neurobiologie ist eine sehr wichtige wissenschaftliche Disziplin, doch auch sie hat ihre Grenzen.